Wie funktioniert ein Line-Array?

Nach wie vor ist die Line-Array-Technologie ein Thema, das sehr stark polarisiert. Es besteht viel Halbwissen und bei so manchen Erklärungsversuchen stehen einem die Haare zu Berge. In diesem Artikel soll durch technisches Verständnis eine objektive Sichtweise erarbeitet werden.


Text & Grafiken: Dipl.-Ing. (FH) Volker Holtmeyer

Warum werden heutzutage mit stetig wachsender Beliebtheit Line-Arrays eingesetzt? Nun, um das zu ergründen, betrachten wir vorerst einmal die Alternative: das Cluster aus konventionellen Hornlautsprechern.


Konventionelle Lautsprecher-Cluster werden in der Regel aus dem einzigen Grund heraus gebildet, einen höheren Schalldruckpegel zu erzielen als es mit einem einzigen Lautsprecher möglich ist. Die Schalldruckpegelerhöhung wird dabei auf zwei gänzlich unterschiedliche Arten erreicht:

1. Durch Kopplung der abgestrahlten Energie im Tieftonbereich

2. Durch Bündelung und Separation der abgestrahlten Energie im Hochtonbereich


Schauen wir uns zunächst die Kopplung der einzelnen Systeme im Tieftonbereich an. Zwei Quellen, die ein Signal derselben Frequenz abstrahlen, erzeugen im Raum Interferenzen. Überall dort, wo das Signal mit der gleichen Phasenlage empfangen wird, addieren sich die Amplituden und es kommt zu einer konstruktiven Interferenz. 


Gleiches gilt für Punkte, an denen ein Laufzeitunterschied von einer Wellenlänge oder einem Vielfachen davon auftritt. An Punkten, wo der Laufzeitunterschied eine halbe Wellenlänge oder einem Vielfachen davon ist, kommt es zu einer destruktiven Interferenz; hier ist die Amplitude theoretisch gleich Null.


Interferenzmuster zweier Punktquellen mit einem Abstand von 1 m

Interferenzmuster zweier Punktquellen mit einem Abstand von 1 m


Im Tieftonbereich unseres Lautsprecher-Clusters haben wir nun den besonderen Fall, dass die Wellenlängen groß gegenüber dem Abstand der Lautsprecher sind. Das bedeutet, dass die einzelnen Tieftonlautsprecher für die entsprechenden Frequenzen so nahe beieinander sind, dass überhaupt gar keine destruktiven Interferenzen auftreten. Es gibt demnach nur konstruktive Interferenz, was sich in einer Erhöhung des Tieftonpegels äußert.


Die Pegelerhöhung im Hochtonbereich geschieht bei der Cluster-Bildung, wie bereits angedeutet, auf andere Weise. Hier gelingt es auf Grund der geringen Wellenlänge nicht, die einzelnen Wandler so dicht zusammen zu bringen, dass sie kohärent – also ohne destruktive Interferenzen – abstrahlen. Hier geht man nun den Weg, durch eine größere Bündelung der einzelnen Hochtonhörner den Pegel zu erhöhen.


Dies lässt sich anschaulich mit einem Scheinwerfer vergleichen, dessen Lichtaustritt man stärker fokussiert und somit eine größere Beleuchtungsstärke erhält, obwohl die Lichtleistung des Leuchtmittels konstant geblieben ist.


Durch die stärkere Bündelung des Schalls ist selbstverständlich der Öffnungswinkel des Hochtonhorns ebenfalls kleiner geworden. Hier bedarf es nun eines weiteren Hochtonhorns, um wieder einen breiteren Abstrahlbereich zu erhalten.


Prinzip der Cluster-Bildung

Prinzip der Cluster-Bildung


Man versucht also beim Cluster im Hochtonbereich mit einem Hochtonhorn stets immer nur einen bestimmten Raumbereich zu beschallen, während man die unvermeidlichen Überlappungsbereiche möglichst gering hält, da hier durch die großen Weglängenunterschiede destruktive Interferenzen entstehen.


Die Überlappung der Abstrahlbereiche sollte übrigens so gewählt werden, dass sie genau beim so genannten nominellen Abstrahlwinkel geschieht. Dieser liegt per Definition im Polardiagramm zwischen den beiden Punkten, an denen der Pegel gegenüber dem Maximum um 6 dB abgefallen ist. Damit sind die konstruktiven Interferenzen im Überlappungsbereich maximal so groß wie der Pegel auf den Hauptabstrahlachsen der Lautsprecher.


Nomineller Abstrahlwinkel

Nomineller Abstrahlwinkel


Natürlich treten im Überlappungsbereich auch stets destruktive Interferenzen auf, womit die Hochtonabstrahlung im konventionellen Cluster per se kompromissbehaftet ist.


Aber auch die Tieftonabstrahlung ist nicht frei von Beeinträchtigungen. Gemeinhin werden die Lautsprecher bei typischen Cluster-Anordnungen horizontal nebeneinander positioniert. Dadurch erfährt die Abstrahlung aber genau in dieser Ebene – nämlich der Horizontalen – eine Einschnürung, obwohl hier im Hochtonbereich durch die Winkelung der Lautsprecher eine Aufweitung stattfindet.


Abgesehen von diesen beiden Unzulänglichkeiten ist leicht einzusehen, dass auch der Übergang zwischen den beiden Ansätzen für den Tiefton- und den Hochtonbereich nicht nahtlos geschehen kann und parasitäre Effekte mit sich bringt.


Und damit sind wir eigentlich schon geradewegs beim modernen Line-Array gelandet. Hier wird die Schalldruck-pegelerhöhung nämlich ebenfalls durch Kopplung tiefer Frequenzen und durch Bündelung hoher Frequenzen erzielt. Die beschriebenen Nachteile der konventionellen Cluster-Bildung werden dabei aber weitestgehend vermieden. Dabei spielt die vertikale Richtcharakteristik des einzelnen Line-Array-Elementes eine entscheidende Rolle.


Vertikale Isobaren eines Line-Arrays

Vertikale Isobaren eines einzelnen Line-Array-Elementes


Diese zeichnet sich insbesondere durch eine kontinuierliche Verringerung des Öffnungswinkels zu hohen Frequenzen hin aus. Es wird also nicht wie im konventionellen Cluster-Lautsprecher ein Constant-Directivity-Horn verwendet, das über einen möglichst breiten Frequenzbereich den gleichen Öffnungswinkel hat, sondern es wird gezielt eine stärkere Bündelung zu höheren Frequenzen erzeugt. Dadurch ergibt sich für ein Line-Array-Element ein Anstieg der so genannten Empfindlichkeit (engl.: Sensitivity) zu hohen Frequenzen, was sich konkret in einem höheren Hochtonpegel äußert. Das bedeutet natürlich so ohne weiteres einen nicht linearen Frequenzgang des einzelnen Line-Array-Elementes. Warum wir aber genau dieses Verhalten – also einen kontinuierlichen Anstieg der Empfindlichkeit und Einschnürung des Öffnungswinkels zu hohen Frequenzen hin – für das einzelne Line-Array-Element haben wollen, werden wir später noch sehen.


Schauen wir zunächst noch auf die Funktionsweise des Pegelgewinns beim Line-Array im Tieftonbereich. Hier sind die einzelnen Wandler wieder so nahe beieinander, dass sie ebenso wie beim konventionellen Cluster koppeln. Sie arbeiten gewissermaßen als eine Einheit, woraus eine Schalldruckpegelerhöhung folgt.

Bis hier her kein großer Unterschied zum konventionellen Cluster – warum also nun ein Line-Array?


Bei der konventionellen Cluster-Bildung waren drei Nachteile festzustellen:

  1. Die Bündelung im Tieftonbereich geschieht konträr zur Aufweitung der Abstrahlung im Hochtonbereich

  2. In den Überlappungsbereichen der Hochtonabstrahlung gibt es destruktive Interferenzen

  3. Der Übergang von der Wirkungsweise im Tieftonbereich zur Wirkungsweise im Hochtonbereich ist unbestimmt


Der Punkt eins wird effektiv bekämpft durch die Rückbesinnung auf alte Tugenden der Beschallungstechnik wie „Stacking and Splaying“. Die Wandler werden hier vertikal übereinander aufgereiht, wobei durch die Bündelung dieser Anordnung versucht wird, die Abstrahlung im Tieftonbereich an die Abstrahlung im Hochtonbereich anzugleichen.


Ausschnitt des Abstrahlverhaltens einer Linienquelle

Ausschnitt des Abstrahlverhaltens einer Linienquelle


So entsteht im Tieftonbereich eine quasi zusammenhängende Strahlerfläche die sich beliebig verlängern lässt. Es werden unter Umständen Ausmaße erreicht, die nicht mehr zu vernachlässigen sind, und es bildet sich ein so genanntes Nahfeld aus. Dieses Nahfeld hat den Charakter, dass der Pegel dort im Mittel mit 3 dB pro Entfernungsverdoppelung abnimmt. Dieses Verhalten ist mit dem eines Linienstrahlers zu vergleichen. Hier erfolgt die Wellenausbreitung zylinderförmig, wodurch sich bei einer Verdoppelung des Radius die Fläche verdoppelt.


Ausschnitt des Abstrahlverhaltens einer Punktquelle

Ausschnitt des Abstrahlverhaltens einer Punktquelle


Außerhalb dieses Nahfeldes sind die Ausmaße der Strahleranordnung wieder zu vernachlässigen. Hier lässt sich das Verhalten wieder mit dem Charakter einer Punktquelle beschreiben, wo der Pegel bei einer Verdoppelung des Radius um 6 dB abnimmt.


Pegelverlauf im Nah- und Fernfeld

Pegelverlauf im Nah- und Fernfeld


Es gibt also einen Übergang von einem Nahfeld mit dem Charakter einer Linienquelle zu einem Fernfeld mit dem Charakter einer Punktquelle. Damit gehen zwei wichtige Aspekte einher, die später noch eine wichtige Rolle spielen.


Zuvor soll aber noch die Lösung  der anderen beiden Probleme des konventionellen Clusters erläutert werden. Zur Unterdrückung destruktiver Interferenzen im Hochtonbereich trägt beim Line-Array maßgeblich der kleine vertikale Öffnungswinkel bei. Dieser wird, wie bereits beschrieben, nicht von CD-Hörnern sondern von so genanten Waveguides erzeugt, die eine kontinuierliche Einschnürung des Öffnungswinkels bewirken.


Ein kleiner Öffnungswinkel bedeutet gleichzeitig eine relativ flache Wellenfront am Austritt des Waveguides. Wenn die Krümmung der Wellenfont kleiner ist als ein Viertel der Wellenlänge bilden die einzelnen Wellenfronten der übereinander gereihten Waveguides eine gemeinsame kohärente Wellenfront. Sie agieren gleichsam als eine einzige Quelle.


Krümmung der Wellenfronten (JBL VerTec 4889)

Krümmung der Wellenfronten (JBL VerTec 4889)


Solch eine leicht gekrümmte Wellenfont kann am einfachsten mit einem konisch geformten Horn generiert werden, dessen Austrittshöhe gering im Verhältnis zur Länge ist. Es wurden aber auch zahlreiche andere trickreiche Schallführungen entwickelt, um einen möglichst engen Öffnungswinkel zu bekommen.


Eine völlig plane Wellenfront ist hier übrigens nicht vonnöten. Es ist sogar ausdrücklich ein geringer Öffnungswinkel (und damit ja keine plane Wellenfront!) erwünscht, da so die einzelnen Waveguides beziehungsweise Line-Array-Elemente ein wenig zueinander gewinkelt werden können, ohne dass die Wellenfront aufreißt. Daher gilt es bei der Wahl eines geeigneten Öffnungswinkels immer einen Kompromiss einzugehen. Zum einen möchte man einen eher kleinen Öffnungswinkel, um eine möglichst kohärente Abstrahlung auch bei kleinen Winkeln der Elemente zueinander zu ermöglichen; zum anderen möchte man aber auch schon mit wenigen Elementen eine weite vertikale Abstrahlung ermöglichen, was einen eher großen Öffnungswinkel erfordert.


Selbst wenn die Wellenfront völlig gerade ist, sind die Waveguides durch ihre mechanische Trennung doch stets als separate Quellen zu betrachten, womit sich in einiger Entfernung durch die Fernfeldbedingungen wieder ein Öffnungswinkel einstellt. Beispielsweise würde bei einer planen Wellenfront mit einer Höhe von 0,20 m bei 8 kHz das Nahfeld bereits nach einem halben Meter enden und sich ein -6 dB-Öffnungswinkel von etwa 15° abzeichnen.


Es genügt also, einfach hinreichend viele Quellen mit einem jeweils entsprechend geringen Öffnungswinkel aufzureihen, um eine kohärente Wellenfront zu bilden.


Auch ein Konuslautsprecher lässt sich als Quelle mit gewissen Ausmaßen betrachten. Die frequenzabhängige Ausdehnung des Nahfeldes ist hier sicherlich zu vernachlässigen; zu beachten ist aber das Bündelungsverhalten. Ein Konuslautsprecher hat ebenfalls das Bestreben den Schall zu höheren Frequenzen kontinuierlich stärker zu bündeln.


Der Trick beim modernen Line-Array besteht nun darin, für den entsprechenden Frequenzbereich jeweils Quellen mit geeignetem Öffnungswinkel einzusetzen und dabei die Übergänge im Frequenzgang möglichst optimal zu gestalten. Es gilt also für jede Frequenz den optimalen Öffnungswinkel auszubilden. Daraus folgt ein sich kontinuierlich einschnürendes Isobarendiagramm, wie wir sie vorhin gesehen haben.


Somit wird der Effekt der kohärenten Überlagerung, wie er beim konventionellen Cluster nur im Tieftonbereich geschieht, beim modernen Line-Array bis in den Mittel- und Hochtonbereich ausgedehnt.


Man könnte auch sagen, der Bereich B in der Abbildung „Prinzip der Cluster-Bildung“ tendiert gegen null. Dadurch werden die anderen beiden Defizite des konventionellen Clusters, wie vorhin beschrieben, beseitigt:

- In den Überlappungsbereichen der Hochtonabstrahlung gab es destruktive Interferenzen.

- Der Übergang von der Wirkungsweise im Tieftonbereich zur Wirkungsweise im Hochtonbereich war unbestimmt.


Zurück zum Nahfeld- und Fernfeldverhalten einer linienförmigen Strahleranordnung. Würde die Strahleranordnung unendlich lang sein, gäbe es nur die Aufweitung des Schallfeldes in einer Ebene und somit ausschließlich eine Zylinderwelle. Da die Anordnung nicht unendlich lang ist, gibt es einen Übergang von einem Nahfeld mit dem Charakter einer Linienquelle zu einem Fernfeld mit dem Charakter einer Punktquelle.


Näherungsweise lässt sich der Übergang vom Nahfeld zum Fernfeld mit dieser Formel berechnen. Wobei h das Ausmaß der Strahleranordnung in m, f die Frequenz in Hz und c die Schallgeschwindigkeit in m/s ist.



Wie man sieht, ist die räumliche Ausdehnung des Nahfeldes sehr stark abhängig vom Ausmaß der Strahleranordnung. Je größer dieses ist, desto weiterreichender ist das Nahfeld. Ebenfalls besteht eine Abhängigkeit zur Frequenz. Das Nahfeld ist für höhere Frequenzen wesentlich weiter ausgedehnt als für tiefe, was bedeutet, dass für größere Entfernungen eine tonale Verschiebung zu höheren Frequenzen auftritt.


Übergang vom Nahfeld zum Fernfeld beim geraden Linienstrahler für unterschiedliche Frequenzen

Übergang vom Nahfeld zum Fernfeld beim geraden Linienstrahler für unterschiedliche Frequenzen


Die Bündelung in der Richtung der räumlichen Entfaltung der Strahleranordnung (vertikal) ist ebenfalls abhängig von den Ausmaßen und von der Frequenz. Der vertikale -6 dB-Öffnungswinkel lässt sich mit dieser Formel bestimmen. Wobei h wieder das Ausmaß der Strahleranordnung in m und f die Frequenz in kHz ist.



Daraus geht hervor, dass sich der vertikale Öffnungswinkel umgekehrt proportional zum Ausmaß der Strahleranordnung und zur Frequenz verhält. Je größer das Ausmaß der Strahleranodnung ist, desto kleiner ist der Öffnungswinkel, und mit zunehmender Frequenz verringert sich der Öffnungswinkel ebenfalls.


Das lässt erkennen, dass in der Vertikalen außerhalb der Hauptabstrahlachse eine tonale Verschiebung zu tiefen Frequenzen vorhanden ist.


Vertikaler Öffnungswinkel beim geraden Linienstrahler

Vertikaler Öffnungswinkel beim geraden Linienstrahler


Es sind also zwei Eigenschaften der linienförmigen Strahleranordnung festzustellen, die für Beschallungsaufgaben eigentlich ungeeignet sind:

  1. Der Frequenzgang auf Achse wird mit zunehmender Entfernung immer höhenlastiger

  2. Der Frequenzgang außerhalb der Symmetrieachse wird mit zunehmendem Winkel immer tiefenlastiger


Diese zwei Problemstellen werden beide mit dem so genannten Curving bearbeitet. Hier wirkt die linien-förmige Strahleranordnung lokal abhängig in unterschiedlichen Frequenzbereichen gewissermaßen mit einer angepassten Länge. Oder anders ausgedrückt: die an verschiedenen Punkten der Hörfläche empfangene Intensität der einzelnen Quellen wird durch deren Ausrichtung für alle Punkte optimiert.


Zur Verdeutlichung zwei Beispiele:


A. Ein weit entfernter Zuhörerort


Hier wäre bei einer gradlinigen und gleichförmigen Ausrichtung aller Quellen, durch das im Hochtonbereich weiter reichende Nahfeld, mit zu viel Hochtonenergie zu rechnen.


Durch die Neigung der unteren Quellen gelangt durch die starke Richtwirkung im Hochtonbereich weniger Hochtonenergie zum weit entfernten Zuhörer. Im Tieftonbereich geschieht die Abstrahlung aber annähernd kugelförmig, womit die veränderte Ausrichtung der unteren Quellen hier unerheblich ist. Somit wird der Frequenzgang für weit entfernte Zuhörer ausgeglichen.


B. Ein nahe liegender Zuhörerort


Hier wäre bei einer gradlinigen und gleichförmigen Ausrichtung aller Quellen, durch die zu hohen Frequenzen zunehmende Bündelung, mit zu viel Tieftonenergie zu rechnen. Die Hochtonenergie würde gewissermaßen über unseren Zuhörer hinwegstreifen und er würde nur durch die geringe Bündelung im Tieftonbereich erfasst.


Durch die Ausrichtung der unteren Quellen auf diesen Zuhörerbereich, wird hier mehr Hochtonenergie eingebracht und der Frequenzgang ausgeglichen.


Polardiagramme der einzelnen Quellen eines Line-Arrays und zeitlicher Verlauf der Pegel der einzelnen Quellen am Zuhörerort

Polardiagramme der einzelnen Quellen eines Line-Arrays und zeitlicher Verlauf der Pegel der einzelnen Quellen am Zuhörerort


Durch von oben nach unten stetig größer werdende Winkel zwischen den einzelnen Elementen eines Line-Arrays – dem so genannten progressiven Curving – gelingt es somit eine gleichmäßige Pegelverteilung mit ausgeglichenem Frequenzgang herzustellen.


Aber es gibt noch weitere Vorteile von Line-Arrays ...


Soweit wurde beschrieben, wie die negativen Effekte der konventionellen Cluster-Bildung mit dem modernen Line-Array ausgeschaltet werden. Hierin allein sind schon große Vorteile zu sehen, die sich auch schon bei kleinen Line-Arrays und mit wenigen Elementen zeigen. Mit zunehmender Länge stellen sich aber noch zwei weitere wesentliche Profite heraus:

  1. Das Nahfeld dehnt sich weiter aus

  2. Die vertikale Abstrahlung im Tieftonbereich wird zunehmend definierter


Wie bereits beschrieben, ist der Übergang vom Nahfeld zum Fernfeld frequenzabhängig und Abhängig von der Länge des Arrays. Durch das Curving wird quasi das Nahfeld im Hochtonbereich so weit verkürzt, dass es dem Nahfeld im Tieftonbereich entspricht. Wie leicht einzusehen ist, ist damit die Reichweite eines kurzen Arrays wesentlich geringer als die eines langen Line-Arrays. Je länger das Array, desto größer ist die Reichweite.


Hieraus wird häufig etwas missverständlich ein „untere Grenzfrequenz“ von Line-Arrays abgeleitet. Dieser Wert ist eher irreführend, da es sich hier um einen kontinuierlichen Effekt handelt. Besser wäre es zu sagen, dass unter der gewünschten Voraussetzung einer gleichmäßigen Pegelverteilung ab dieser Frequenz die Gleichmäßigkeit nachlassen würde.


Weitere Verständnisprobleme bereitet offenbar das Nahfeld als solches. Dieses ist keineswegs als akustisches Erlebnis erfahrbar, wenn man sich beispielsweise auf ein Line-Array zu bewegt und hat auch nicht direkt etwas mit Attributen zu tun wie „In-Your-Face-Sound“ oder „Kopfhörereffekt“, die Line-Arrays gerne nachgesagt werden. Vielmehr muss man sich das Nahfeld als intensiviertes Medium zur Energieübertragung über die Distanz vorstellen, das zwischen Lautsprecher und Zuhörer liegt. Wichtig dabei ist zu verstehen, dass bei einem korrekt ausgerichteten Line-Array jeder Zuhörer im Fernfeld sitzt.


Der andere zusätzliche Vorteil eines langen Line-Arrays besteht in den gesteigerten Bündelungseigenschaften im Tieftonbereich. Um tiefe Frequenzen zu bündeln, braucht es Ausmaße die im Bereich der Wellenlänge liegen. Was bedeutet, dass die Bündelungseigenschaften zu tiefen Frequenzen hin immer besser werden, je länger das Array ist. So kann das Abstrahlverhalten im Tieftonbereich akkurat an das im Hochtonbereich angeglichen werden. So gelingt es ein Abstrahlverhalten zu kreieren, bei dem viel Energie in Richtung des hinteren Auditoriums gesandt wird und, entsprechend an die Hörfläche angepasst, weniger Energie in die vorderen Bereiche. Ein weiterer großer Nutzen dabei ist, dass die abgestrahlte Energie auf das Publikum fokussiert ist und somit in weiten Teilen fast vollständig absorbiert wird. Womit ggf. relativ wenig Energie in den Raum gelangt und der Diffusschall entsprechend gering ausfällt.


Horizontale Abstrahlung eines Line-Arrays (JBL VTX A12)

Horizontale Abstrahlung eines Line-Arrays (JBL VTX A Series)


Die horizontale Abstrahlung eines Line-Arrays ist hingegen relativ trivial. Diese wird bestimmt durch den horizontalen Öffnungswinkel des einzelnen Line-Array-Elementes und ist weitestgehend unabhängig von der Länge des Arrays. Sie ist also nicht davon abhängig, wie viele Elemente untereinander gehängt werden. Die nominellen horizontalen Abstrahlwinkel üblicher Line-Arrays liegen zumeist im Bereich von etwa 90°.


Dies scheint verglichen mit konventionellen Cluster-Lautsprechern zunächst recht breit und löst zuweilen den Verdacht aus, für gewisse Applikationen ungeeignet zu sein, wo etwa Reflexionen von Seitenwänden zu befürchten sind. Diese Besorgnis stellt sich aber als unmotiviert heraus, wenn man sich einmal gedanklich in die Perspektive des Lautsprechers versetzt und in den Raum hinein blickt. Was wir nun sehen ist im Wesentlichen die Decke, der Fußboden und die Rückwand. Verhältnismäßig wenig Flächenanteil in unserem Gesichtsfeld wird von den Seitenwänden eingenommen (Bei eng stehendem Publikum fällt der Fußboden sowie ein Teil der Rückwand und der Seitenwände weg, was aber die Verhältnisse nur marginal verändert.) Es ist also von viel größerer Bedeutung eine akkurate Bündelung in der Vertikalen als in der Horizontalen zu haben.


Hinzu kommt nun der Effekt, dass die Schallanteile, die durch Reflexion an den Seitenwänden zum Zuhörer gelangen, zeitlich meist noch recht nahe am Direktschall liegen. Der Akustiker spricht hier von so genannten „nützlichen Reflexionen“ (ca. 10 – 30 ms bzw. 3 – 10 m Weglängenunterschied). Diese erhöhen den Lautheitseindruck und die Verständlichkeit. Erst spätere Reflexionen machen sich als störend bemerkbar. Letztere sind aufgrund der längeren Laufzeit aber in erster Linie von der Rückwand zu erwarten. Daher ist eine breite horizontale Abstrahlung als guter Kompromiss zu sehen. In schmalen Venues wirkt sie sich also gar nicht so negativ aus, wie man gemeinhin glaubt.


Wie aber deutlich wurde, ist die vertikale Abstrahlung eines modernen Line-Arrays sehr flexibel und von diversen Parametern abhängig. Bei einem üblichen Array sind diese im Wesentlichen:

  1. Der Winkel der einzelnen Elemente zueinander

  2. Die vertikale Ausrichtung des gesamten Arrays

  3. Die Höhe des Arrays


Die drei wichtigsten Parameter bei der Konfiguration eines Line-Arrays

Die drei wichtigsten Parameter bei der Konfiguration eines Line-Arrays


Die meisten Hersteller bieten für ihre Line-Arrays spezielle Softwarelösungen an, mit denen sich die Pegelverteilung im Zuhörerbereich entlang der Hauptabstrahlrichtung des Arrays berechnen lässt. Diese liefern als Ergebnis dann unter anderem die drei beschriebenen Werte. Das Wichtigste ist dabei die Simulation der Pegelverteilung bei unterschiedlichen Frequenzen, da die Abstrahlung des Arrays hier sehr ungleich ausfallen kann.


Es hat sich als praxisgerecht gezeigt, stets die Pegelverteilung im Hochtonbereich (8 kHz) zu optimieren und dann die Pegelverteilung bei anderen Frequenzen zu kontrollieren. Gerade im Hochtonbereich sind mit geringen Winkelvariationen vielfach deutliche Veränderungen zu erzielen, die so am leichtesten beurteilt werden können.


Grundsätzlich ist ein progressives beziehungsweise spiralförmiges Curving anzustreben, was bedeutet, das zwischen den oberen Elementen kleine Winkel und zwischen den unteren Elementen größere Winkel geplant werden. Die Winkel werden nach unten hin also stetig größer. Wobei hier nicht die tatsächlichen Winkel zwischen den zumeist trapezförmigen Gehäusen gemeint sind, sondern quasi die Winkel, mit denen die Hauptabstrahlachsen der Elemente auseinander driften. Ein progressives Curving stellt sich für eine ebene Hörfläche beispielsweise automatisch ein, wenn die Auftreffpunkte der Hauptabstrahlachsen der einzelnen Elemente äquidistant auf der Hörfläche liegen. Diesen Ansatz nutzen auch einige Programme, um eine Automation der Konfiguration des Arrays zu bieten.


Bei der Optimierung des Pegelverlaufes sollte bedacht werden, ob es sich um eine Open-Air-Beschallung oder die Beschallung in einer Räumlichkeit handelt. Durch die begrenzte Länge eines Line-Arrays ist im Tieftonbereich (weitgehend unabhängig vom Curving) über weite Stecken keine gleichmäßige Pegelverteilung des Direktschalls zu erzielen. Es ist hier ein Pegelabfall über die Entfernung zu beobachten. Daher ist es in Open-Air-Situationen unter Umständen angebracht, den Pegel im Mittel- und Hochtonbereich dem Verlauf im Tieftonbereich anzupassen, auch wenn es durchaus möglich wäre, im Hochtonbereich einen gleichmäßigen Pegelverlauf zu erzielen. Dadurch ist der gesamte Pegel im hinteren Auditorium zwar geringer als vorne, dafür ist das Spektrum hier aber ausgeglichener – man bekommt also für alle Zuhörerorte einen gleichmäßigen Frequenzgang.  


Prediction Software mit progressiv gewinkeltem Line-Array und leicht abfallendem Pegelverlauf (JBL Line Array Calculator)

Prediction Software mit progressiv gewinkeltem Line-Array und leicht abfallendem Pegelverlauf (JBL Line Array Calculator)


Der Unterschied bei einer Beschallung in einer Halle o.ä. besteht ganz einfach darin, dass hier die Raumakustik hinzukommt. Das bedeutet in erster Linie ein so genanntes Diffus- oder Nachhallfeld, dessen Pegel sich zu dem des Direktschalls addiert. Der Pegel des Diffusfeldes in einem als statistisch anzusehenden Raum ist überall gleich groß. Selbst bei einem Lautsprecher-Array mit einer sehr hohen Richtwirkung und einem Raum mit einer vergleichsweise kurzen Nachhallzeit überwiegt nach einigen Metern der Pegel des Nachhallfeldes. Das  bedeutet, dass das Nachhallfeld einen großen Einfluss auf die tonale Wahrnehmung hat. Wegen der im Allgemeinen stärkeren Absorption im Hochtonbereich ist das Spektrum des Nachhallfeldes in der Regel tieftonlastig. Deswegen bewirkt die Addition des Nachhallfeldes vornehmlich eine Verstärkung des Tieftonanteils. Dieser Umstand bewirkt für den hinteren Teil des Auditoriums gewissermaßen ein „Auffüllen“ des Tieftonbereichs. Somit ist es in Räumen durchaus zulässig im Mittel- und Hochtonbereich einen gleichmäßigen Pegelverlauf über die Entfernung anzustreben, auch wenn im Berechnungsprogramm im Tieftonbereich ein Pegelabfall des Direktschalls dargestellt wird.


Die Erfahrung hat gezeigt, dass es übrigens durchaus nicht immer sinnvoll ist, das Array so hoch wie möglich zu hängen. Je höher ein Array hängt, desto weiter muss der vertikale Öffnungswinkel ausgelegt werden. Bei wenigen Elementen ist man damit durch den maximal möglichen Winkel zwischen den Elementen beschränkt. Beispielsweise ist mit vier Elementen und einem Winkel von je 10° zwischen den Elementen zwar ein Öffnungswinkel von 40° zu erreichen, jedoch tritt noch nicht der Vorteil der freien Skalierbarkeit ein, wo mit kleineren Winkeln im oberen Bereich des Arrays mehr Energie ins hintere Auditorium gebracht werden kann. 


Des Weiteren bildet sich bei langen Arrays eine große Richtwirkung im Mitteltonbereich aus. Wenn ein solches Array sehr hoch geflogen wird und dadurch relativ steil geneigt ist, genügt die enge vertikale Abstrahlung des Mitteltonbereichs möglichenfalls nicht aus, um den zu beschallenden Bereich gleichförmig abzudecken. Demzufolge ist es häufig sinnvoller, das Array tiefer zu hängen und weniger stark zu curven. So streift man mit der engen Mitteltonabstrahlung gewissermaßen über das Auditorium hinweg und man bekommt zusätzlich mehr Möglichkeiten die Winkel im oberen Array-Bereich zu variieren.


In den letzten Jahren ist es auch modern geworden, den Mittelton-Beam mittels Allpass-Filtern aufzuweiten. Somit passt man den Mitteltonbereich wieder an die Abstrahlung im Low- und High-Bereich an und kann das Array damit höher hängen und erreicht so eine gleichmäßigere Pegelverteilung über die Tiefe.


Zuletzt sei noch ein Blick auf das notwendige Signalprozessing eines modernen Line-Arrays getan. Grundsätzlich gilt, dass eine zeitliche Anpassung nur in Ausnahmefällen vonnöten ist oder zu einem besseren Ergebnis führt. Für ein übliches Setup wird also kein Delay benötigt. Ähnlich verhält es sich mit der Pegelanpassung der einzelnen Elemente beziehungsweise Wandler.


Typisches Filter zur Kompensation der Kopplung im Tieftonbereich

Typisches Filter zur Kompensation der Kopplung im Tieftonbereich


Völlig anders verhält es sich mit der Entzerrung. Diese ist für den Betrieb eines Line-Arrays essentiell notwendig. Durch die stärkere Kopplung zu tiefen Frequenzen muss der Pegel zu hohen Frequenzen angehoben werden. Meist geschieht dies mit ein oder zwei High-Shelf-Filtern. Je länger das Array, desto mehr muss der Pegel des High-Shelfs angehoben werden. Oder Gleiches kann natürlich auch umgekehrt mit einem Low-Shelf-Filter erreicht werden.


Fazit


Die Funktionsweise eines modernen Line-Arrays unterscheidet sich vom Wesen her nicht sonderlich von der eines konventionellen Clusters. Die drei wesentlichen Nachteile der konventionellen Cluster-Bildung werden dabei aber gezielt eliminiert. 


Darüber hinaus stellen sich bei langen Line-Arrays zwei weitere Vorteile heraus: Die Bildung eines ausgedehnten Nahfeldes ermöglicht die Überbrückung großer Distanzen, und durch die Skalierbarkeit des Line-Arrays kann die vertikale Abstrahlcharakteristik genau an die zu beschallende Fläche angepasst werden.